Es gibt bestimmte Gegenden, die die Reisenden an der Nase führen können, weil sie so schmecken wie sie schmecken. Italien gehört zu diesen Gegenden; man überquert die Landesgrenze, macht Halt an der erstbesten Tankstelle, trinkt einen Kaffee, den ersten Ristretto, und der ist gut. Richtig gut.
Die Ambiente an so einer Autobahn-Tankstelle ist ja wirklich nicht sehr super. Aber der Kaffee. Der ist einfach unheimlich.
Der Kaffee an sich spielt in meinem Leben auch sonst eine wichtige Rolle. Seit eh und je. Schon als Teenager hatten Zufälle und die jugendliche Offenheit für ein paar Sommer lang aus mir in einer französisch-finnischen Kleingruppe von 3 Personen quer durch Deutschland fahrend und in Supermärkten Espresso anbietend eine spitzenmäßige PR-Assistentin für die italienische Röstkunst gemacht. Aus dieser Zeit stammt mein erstes fundiertes Wissen was die Begriffe ”Ristretto”, ”Robusta”, ”Arabica” und ”Koffein” betrifft.
Und jetzt, auf Urlaub, in Italien gelandet, von dem Tankstellenkaffee überzeugt, fahren wir weiter, ich und mein Lebensgefährte + Genussbegleiter, der ein noch tiefer gläubiger Kaffeefreak ist als ich. Wir lassen unsere Nase, ergo die Zunge, ergo den Gaumen die Richtung bestimmen.
In Meran, zum Beispiel, braucht man nur den absolut hervorragenden Koch in seinem Bistro aus ganzem Herzen loben und zwei Wörter über Piemont fallen lassen, schon bekommt man einen unschlagbaren Hinweis für den nächsten Tag. Ein Angebot, das nach der Beschreibung ganz sicher nicht abzulehnen ist.
So landet man im Restaurant ”Post” mitten in der Pampa, freut sich mit allen Sinnen über die Darbietung und hat nichts dagegen, dass man am Folgetag in der selben Gegend auch noch Weine findet, deren bloßer Name ein Gedicht ist: Anna Maria Abbona.
Es geht so weiter. Langsam in die Richtung Süden. Wie zwei glückliche Trüffelschweine finden wir die best-ever Haselnüsse, Haselnussprodukten, Pasta. Und mehr Kaffee. Wunderbar.
Bis zu einem bestimmten Punkt.
Denn, jeder Stolz wird einmal bestraft. Jede zu starke Sicherheit. Man wird übermütig. Passt nicht mehr auf. Merkt die Zeichen nicht. Oder erst zu spät.
”Tu es nicht”, sage ich zu meinem Genussbegleiter, als er in einer Küstenstadt dabei ist, einen Meeresfrüchtesalat zu bestellen, und ich plötzlich Verdacht erschöpfe.
Schon einmal hat er solch mahneneden Wörtern geglaubt. Zu seinem eigenen Glück. ”Tun Sie es nicht”, hatte man ihm regelrecht verboten, als er meinte, für die superguten, auf Olivenholz gerösteten Kaffeebohnen eine billige Mühle kaufen zu können, in Wien, nur 20 Schritte von unserem Zuhause entfernt, im Laden, in dem man unsere Gaumenfreude-Angelegenheiten immer sehr ernst nahm.
Aber damals ging es um Kaffee, nicht um Hunger.
Oh, wie betrogen man sich fühlen kann. Genauso wie man durch Essen schöne Momente kreieren kann, kann man dadurch Vieles zerstören. Ich schaue im Restaurant um mich und sehe, wie die anderen Gäste ähnlich bestürzt auf ihre Teller blicken wie wir. Diese Wahl ist offensichtlich ein Fehler gewesen. Wir sind in der vielleicht schlimmsten Touristenzeit in der vielleicht schlimmsten Touristenfalle gelandet.
Doch was mit dem schlechten Essen verdorben ist, wird mit einem guten wieder geheilt. Erholt vom Schock, bei frischem Joghurt und Früchten in einem ehrlichen Seitengassencafé sagen wir uns: selber schuld. Eigentlich müsste man es ja wissen: Hunger oder Müdigkeit sind oft schlechte Wegweiser.
So sind es auch die Gier, Profitmaximierung, Berechnungen und Faulheit. Mit denen hat gutes Essen nur wenig zu tun. Umsomehr mit Respekt und Vertrauen. Man sagt ja: Augen zu und Mund auf. Wenn jemand dann die Augen schließt, darf man es mit ihm / ihr nur gut meinen.
Am Rückweg unserer Reise übernachten wir an einem Agriturismo-Hof bei einem gewissen Herrn Nicolas. Herr Nicolas fragt, wie wir ihn und seine Haine gefunden haben, und wir fangen wieder mit dem Kaffee an. Die erstbeste Tankstelle, usw.
Wir erzählen Nicolas, dass es nach unserer Erfahrung fast unmöglich sei, außerhalb Italiens einen einen so kurzen Ristretto zu bekommen, wie man möchte. Die Herausforderung es trotzdem zu versuchen ist fast wie ein wiederkehreneder Witz geworden. Eigens für diesen Zweck habe ich mir Sätze ausgedacht wie ”bitte so kurz, dass der Kaffee sich kaum mehr bewegt”.
Solch ein Tropfen ist mehr ein Bonbon als ein Getränk, sagt Genussbegleiter zu Nicolas. Nicolas nickt. Er verrät uns seinen Tipp für den besten Ristretto im Dorf – einen Schluck ultimativer Kaffeekultur für 1 Euro.Wir reden über die möglichen Verbindungen und Unterschiede zwischen Quantität und Qualität. Wir reden über das Teilen, Nehmen und Geben, über Gefühle und die Geborgenheit.
In seiner italienischen Sprachmelodie packt Nicolas dann seine Lebensweisheit in einem Satz, wie es nur ein mit einem italienischem Genuss-Verständnis aufgewachsener Weinbauer kann, und hätte ich damals verstanden ihn aufzunehmen, hätte der an sich wunderbare George Clooney in Sachen Werbefilm definitiv seinen Meister und einen – nicht nur in kulinarischer Hinsicht – besseren Kaffee gefunden.
Nicolas sagte absolut unwiederstehlich, überzeugend und erprobt: ”One Juuro for one good moment is not ixpensive!”