Einer der schönsten Zugänge zu anderen Menschen führt über den Genuss. Ein Grund dafür liegt in der spielerischen Auseinandersetzung mit etwas Subjektivem, dem persönlichen Eindruck. Wir dürfen uns trauen eine Meinung zu haben und im Austausch darüber bestätigen oder korrigieren wir uns. Dabei lernen wir die Mitgenießer kennen. Außerdem schwärmt es sich gemeinsam viel besser und leichter als alleine.
Die Möglichkeit zur Unterscheidung wird zu einer wichtigen Variable, wenn es darum geht, sich bewusst auf Dinge einzulassen, die die Lebensfreude erhöhen. Genuss ist eine Frage der Differenzierung – vom Alltag, von Personen, von Gelegenheiten, von Eindrücken, etc. Je mehr wir uns mit diesem Akt des Unterscheidens konfrontieren desto größer wird auch unser Repertoire für die Beschreibung der Unterschiede. Das ist eine Spirale, die nach oben zieht. Wir können uns besser ausdrücken, deshalb macht es auch mehr Freude. Deshalb ist dieses Ansprechen, was wir genießen und warum auch so wesentlich für die Weiterentwicklung der Genussfähigkeit.
Ich will versuchen die verschiedenen Levels dieses Prozesses und der Genussfähigkeit zu unterscheiden. Grob gelingt es mit drei Stufen:
Stufe 1: Externe Faktoren bestimmen, wie sehr wir genießen. Zum Beispiel: Genuss und Kosten hängen auf diesem Level zwingend zusammen. Man denkt sich die Dinge durch die Preise interessant, ohne dass man selbst den Unterschied besonders wahrnimmt. Je höher der Preis, desto größter das Erlebnis, so denkt man.
Stufe 2: Ein grundlegendes Genussbewusstsein wurde schon entwickelt. Es gelingt die Einfachheit und das Besonderen im scheinbar Alltäglichen zu entdecken. Genuss kann auch im bereits Vorhandenem gefunden werden und man entwickelt eine Neugierde im Ausprobieren. Die Schulung der Sinne und die Kompetenz der Kategorisierung werden bewusst wahrgenommen. Man beginnt auch beim Standardrepertoire wählerisch zu sein, und zu kombinieren.
Stufe 3: Das Vorhandene, die bekannten Genussgelegenheiten, können flexibel adaptiert und eingeordnet werden. Es entsteht ein lustvolles Erweitern und Experimentieren. Gewohnheiten werden überdacht und Bekanntes neu definiert. Zum Beispiel: eine Traube sollte süß sein, sie ist aber sauer. Man kann das Säuerliche nicht nur als solches akzeptieren, sondern es für einen Genussmoment nutzen, anstatt sich über das Nichteintreten des Gewohnten zu ärgern.
In Bezug auf die Kulinarik könnte man einfacher noch sagen:
1. Zuerst wird Dir gesagt, wie’s schmeckt – und Du wirst von den Rahmenbedingungen stärker beeinflusst als von deinem eigenen Erleben.
2. Dann schmeckst Du es selber – und kannst die Rolle der Rahmenbedingungen einschätzen.
3. Und schließlich definierst Du selber, wie es schmecken soll – und kannst den Rahmen selber mitgestalten.
Von 2. auf 3. kommt man meistens dann, wenn man dazu übergeht sich nicht »zufriedenzugeben« mit dem, was da ist, sondern versucht es zu optimieren. Das Herausfordern und nicht das »Sich-damit-abfinden« bringt den Genuss weiter.
Ob obige Einteilung Sinn macht bleibt zu diskutieren. Sie zeigt aber zumindest, dass durchaus viel Bewegungspotenzial in der Genussfähigkeit steckt und es nicht einfach nur darum geht: Kannst du genießen oder nicht?
Den Genusspropheten, den Ladenbesitzern und Feinkost-Beratern kommt deshalb eine besondere Rolle zu. Sie können ein Milieu schaffen für eine Kultur des Kostens und Verkostens. Sie leiten uns an, die Genussfähigkeit auszubauen und zu verfeinern. Denn die Basis der Genussempfindung ist relativ. Das bedeutet, dass im Vergleichen die Genusskompetenz steigt und man gleichzeitig dabei erkennt, wie fein das eigene Raster gewoben ist.
Im Idealfall können die Ladenbesitzer und Vermittler der besonderen Dinge uns etwas Einfaches deutlich machen: Genuss zu kaufen bedeutet, von Weniger letztendlich mehr zu haben.
Über dieses Thema und darüber hinaus haben wir uns auch im Podcast Gedanken gemacht. Hören Sie hinein. [link]