Olivenöl schmecken kann man lernen. Keines schmeckt gleich!
Brigitte Pugliese von Casa Caria

Essay

Gutes Essen hat nichts mit Luxus zu tun

von Michael Langoth

Soziale Dominanz bedeutet heutzutage Geld. Man kann seinen Status also scheinbar dadurch erhöhen, dass man teure und originelle Dinge isst. Es geht dabei darum, anderen und vor allem sich selbst zu zeigen, wer man ist, durch das, was man isst und was man sich dabei leisten kann. Aufwändige Tischkultur, luxuriöses Ambiente und vor allem hohe Preise können aber ganz gewaltig vom eigentlichen Schmecken ablenken. Denn wer will schon zugeben, dass er eine Menge Geld ausgegeben hat für etwas, das nicht gut ist. Außerdem erzählen ja alle, wie toll dieses luxuriöse Essen sei, und man will ja dazugehören. Durch die Medien wird dieses gesellschaftliche Narrativ des luxuriösen Essens immer weiter bedient und es ist nicht leicht, dabei die persönliche Kritik- und Urteilsfähigkeit zu behalten.

Wirklich gutes Kochen dient nur dem guten, wahrhaftigen Geschmack. Es hat nichts mit Luxus zu tun, sondern gewinnt seine Qualität unter anderem durch die Vermeidung von Zutaten, die gerade als besonders luxuriös gelten. Wie im Kapitel „Essen und Macht“ schon erwähnt, geht die heutige Form des Restaurants zurück auf die Zeit nach der französischen Revolution. Die Hauptaufgabe bestand nicht primär in der Ernährung der Menschen, sondern in der Vermittlung des Erlebnisses „Speisen wie ein
König“. Bürgerliche konnten sich erstmals der Statussymbole der entmachteten Aristokratie bedienen. Im Grunde ist dagegen gar nichts einzuwenden, denn die Repräsentation und der Versuch, seinen sozialen Status zu betonen, sind ein Grundbedürfnis, das nicht wegdiskutiert werden kann.

Doch wenn man es schafft, dass einem dieser Aspekt beim Essen weitgehend egal ist, hat man einen direkteren Zugang zum eigentlichen Geschmackserlebnis, man kann die kulinarische Qualität einer Speise ohne Ablenkung viel besser beurteilen. Gutes Essen ist unabhängig von Ambiente und Präsentation. Ein Stück perfekt gegrillter Ente auf Zeitungspapier am Straßenrand irgendwo in Vietnam kann ein höheres Genusserlebnis hervorrufen als ein kunstvoll präsentiertes Degustationsmenü im Haubenrestaurant. Dort wird viel Geld bezahlt, da darf nichts einfach oder banal sein, alles muss außergewöhnlich, luxuriös und originell sein. So meint auch Peter Kubelka: „Essen als Montage aus verschiedenen Elementen, die hauptsächlich der Belustigung und der Erfreuung des Auges dienen … Eine Stopfleber auf Sauerkraut zu setzen und mit seltenen Blüten zu verzieren – das verbessert das Sauerkraut nicht. Im Gegenteil: Es lenkt ab, es ruiniert das Gericht. Große Köche haben es oft schwer, etwas Gutes auf den Tisch zu stellen, weil sie so viele andere Bedürfnisse bedienen müssen, die nicht zum Kochen gehören.“ Gutes Essen erkennt man unter anderem daran, dass es auch gut schmeckt, wenn es im Kochtopf serviert wird, ohne Tischtuch, dezentes Licht und Gläserbatterie.

Apropos Tischtuch: Selbst die Verwendung dieses Haupt-​utensils einer gepflegten Tischkultur entbehrt nicht einer gewissen Absurdität. In Zeiten, als noch mit der Hand gegessen wurde, diente es dazu, um sich Hände und Mund abzuwischen und zum Schutz der Kleidung. Dieser eigentliche Zweck ist heute vollständig verschwunden, es hat eigentlich keine Funktion mehr. Außer vielleicht, dass man sieht, wie sauber der Tisch ist. Die ursprüngliche Funktion hat die Serviette übernommen – trotzdem gehört das Tischtuch nach wie vor zu einem „ordentlich“ gedeckten Tisch. Der Aufwand dafür ist gewaltig, denn man muss das Stück Stoff ja nach jedem Essen waschen und bügeln. Natürlich war und ist die visuelle Präsentation des Essens ein Ausdrucksmittel, das eine gewisse Rolle spielt, aber gerade der Verzicht auf Statussymbole und Dekor ist auch eine Form des Ausdrucks, der auf eine Konzentration des kulinarischen Erlebnisses abzielt, möglichst ohne Ablenkung. Auch Einfaches, Funktionales ist schön.

Während die Haute cuisine immer aus dem Überfluss der Produkte schöpfte und mehr dem Protzen als dem Geschmack diente, war die Cucina povera der einfachen Leute gezwungen, aus begrenzten Resourcen durch handwerkliche Intelligenz gute Speisen hervorzubringen. Wenn man nichts hat außer Mehl, Milch und Schmalz, dann wird man kreativ bei der Zubereitung, um Genuss und Abwechslung zu erleben. Die Cucina povera ist die wahre Quelle des guten Kochens. Es waren die kochenden Hausfrauen, die einfachen Straßenküchen und Gasthäuser, die eine Kultur der alltäglichen Ernährung weiterentwickelt und perfektioniert haben. Der Input der Herrscherküchen ist vergleichsweise gering, schon weil sie meist einen unverhältnismäßig hohen Aufwand benötigen. Freilich gibt es auch Ausnahmen, etwa die indische Mogulküche, eine ehemalige Aristokratenküche, die – in vereinfachter Form – die Kochkultur Indiens bis heute wesentlich beeinflusst hat.

Aber auch die Haubengastronomie hat inzwischen die Cucina povera entdeckt. Der Trend zu einfachem und authentischem Essen ist seit einiger Zeit auch bei berühmten Köchen unübersehbar. Schlichte Bistros und Gasthäuser lösen immer mehr die klassischen Gourmettempel mit ihrer „Bemmerl- und Batzerlküche“ (Kubelka) ab. Und so kommt es zu der absurden Situation, dass ehemalige Armengerichte mit ihren einfachen Zutaten zu einem neuen Luxusgut geworden sind, wie man bei Teilen der Slow-Food-Bewegung beobachten kann. Denn aufwendige Handarbeit ist heutzutage teuer, selbst wenn die Zutaten preiswert sind. Praktisch alle Berufsköche, die ich kenne, bevorzugen privat einfache und authentische Speisen – und es ist kein Zufall, dass von allen Kochbüchern des katalanischen Starkochs Ferran Adrià dasjenige das beste ist, dessen Rezepte nicht für die Gäste seines Restaurants gedacht waren, sondern für die preiswerte Verpflegung des Personals.

Zutaten gelten als prestigeträchtig, wenn sie selten und teuer sind. Das allein sagt aber noch nichts über ihre kulinarischen Qualitäten aus. Viele Produkte verlieren ihren Luxusstatus und werden zum Arme-Leute-Essen, wenn sie nicht mehr selten sind – und umgekehrt. Über Jahrhunderte galt der Kabeljau als billige Verpflegung für Soldaten, Bauern und sogar Sklaven, während er heute durch Überfischung zum Luxusgut geworden ist. Der einst fast unvorstellbar teure Zucker ist heute zu einem der billigsten Grundstoffe der Lebensmittelindustrie geworden.

Man ist also gut beraten, den Prestige-Status von Lebensmitteln zu hinterfragen, und sich auf das eigene Urteil zu verlassen. Oft sind die teuersten Produkte nicht die besten – etwa bei Rindfleisch, wo das teure Filet in geschmacklicher Hinsicht nicht unbedingt der beste Teil des Tieres ist.

Ich möchte hier nicht missverstanden werden: Natürlich wird in vielen Haubenrestaurants gut gekocht und die Leistungen einzelner Köche sind evident, auch wenn sie häufig überschätzt werden. Es geht dabei eher um ein Unterhaltungsprogramm, um ein kaufbares Erlebnis, das über das Essen an sich weit hinausgeht. Und wenn man Glück hat, ist es trotzdem gut. Die eigentliche Entwicklung des Kochens ist vor allem eine kollektive Errungenschaft und nicht die Leistung von herausragenden Genies, wie uns das Narrativ der Haute cuisine glauben machen will.

 

Auszug aus: »Das kulinarische Manifest«, Michael Langoth, ISBN 978-3-7025-0868-5

Über den/die AuthorIn

Michael Langoth ist Fotograf und Musiker. Er fotografiert seit über 30 Jahren Essen im Studio Trizeps, das er mit Josef M. Fallnhauser in Wien betreibt. Mit Freunden und seinen Töchtern Laura und Sarah gründet er den Kochclub der „Kochgenossen“, die ihre Aufgabe in der Dokumentation von authentischen Kochsprachen aus aller Welt sehen. Aus dieser Zusammenarbeit sind bisher die preisgekrönten Bände „Mekong Food“ (2013), „Il Po“ (2014) und „Spirit & Spice“ (2015) hervorgegangen

>> Website des/der AuthorIn